Obwohl die Textilindustrie, die durch die Befriedigung des Bedürfnisses nach Kleidung zur Sicherung der Existenzbedürfnisse beiträgt, hinter der Landwirtschaft den zweitgrößten1 Bereich der antiken Wirtschaft bildete, kamen John Peter Wild und andere im Jahre 2013 zu der Erkenntnis, dass Textilproduktion und –handel, bzw. die Textilindustrie im Allgemeinen in der modernen Forschung oft noch stiefmütterlich behandelt werden2. Erfreuliche Ausnahmen bilden dazu in letzter Zeit mehrere Studien aus dem niederländischen Raum sowie verschiedene Sammelbände3. Auch bezüglich des einzelnen Händlers lässt der Umfang der modernen Forschungsarbeit noch zu wünschen übrig, wobei Claire Holleran 2012 mit ihrer Monographie „Shopping in Ancient Rome. The Retail Trade in the Late Republic and the Principate“ über Einzelhandel und –händler in Rom allerdings einen großen Beitrag zur Schließung dieser Lücke leistet. Als weiteren Schritt in diese Richtung möchte ich mich daher in der folgenden Arbeit mit dem Textilhandel und vor allem den –händlern und dem Textiltransport in und aus Gallien, Germanien und Rätien während der Kaiserzeit bis zum Erlass des diokletianischen Preisedikts beschäftigen, das zugleich auch eine ausgezeichnete Quelle zur Textilindustrie und zum Textilhandel ist.
Aber was ist Handel? Die grundlegende Definition hat sich dabei seit mehreren Jahrzehnten kaum geändert. Ähnlich zu Seyffert im Jahre 19724 definiert auch das vor kurzer Zeit in 12. Auflage erschienene Kompakt-Lexikon Wirtschaft Handel allgemein als „Tausch von Gütern aller Art“, im engeren Sinne jedoch als das „Beschaffen und Absetzen von Waren (Warenhandel), ohne diese wesentlich zu be- oder verarbeiten. Warenmanipulationen wie Abpacken, Sortieren, Mischen und Zuschneiden gelten dabei nicht als Be- oder Verarbeitung“5. Diese und ähnliche Definitionen fanden auch Eingang in die antike Wirtschaftsgeschichte6. Dabei wird immer wieder betont, dass nicht nur der Weiterverkauf von Waren, die entscheidend in ihrer Beschaffenheit verändert wurden (beispielsweise die Weiterverarbeitung von Getreide zu Brot), sondern auch nicht jeder Güteraustausch als Handel zu sehen ist. Während Letzteres zweifellos richtig ist (man denke nur an den Austausch von Geschenken, der keinesfalls als Handel anzusehen ist), führt die erste Einschränkung jedoch zu Problemen. Eine Definition des Begriffs „Handel“, die eine Weiterverarbeitung der Ware konsequent ausschließt, ist meiner Meinung nach nicht dienlich. Als sinnvoller sehe ich daher, Handel zu definieren als An- und Verkauf von Waren mit dem Ziel der Gewinnerzielung, ohne dass diese durch Be- oder Verarbeitung ihre Form/Beschaffenheit ändern. Nach dieser Definition wäre beispielsweise ein Einfärben eines Tuches möglich, das Verarbeiten von Getreide zu Brot (wie oben genannt) jedoch nicht.7
Zur Untersuchung des Textilhandels in Gallien, Germanien und Rätien werde ich mich vor allem auf die inschriftlichen Zeugnisse stützen, die oft eine überraschend große Vielfalt an Informationen über Händler (sowohl in ihrer Rolle als Händler als auch als (Privat-)Person), Waren, Handelswege und Kollegien bieten, wie etwa die aus der zweiten Hälfte des 2. Jhds. stammende Inschrift des Grabsteins des Illiomarius Aper (CIL 13, 1998), der von seinem Sohn unter der ascia geweiht wurde. Der bei seinem Tod 85-jährige Leinenhändler und Angehörige der civitas Veliocassium (Rouen), der zudem auch noch in die Bürgerschaft Lyons gewählt wurde und somit römisches Bürgerrecht besaß (s. ebenso CIL 13, 2023), war Mitglied des Kollegiums der utriclarii von Lyon. Er handelte nicht nur mit Leinen, sondern durch seine Mitgliedschaft im genannten Kollegium ist es sehr wahrscheinlich, dass er zusätzlich mit Wein oder Öl handelte. Wierschowski8 geht davon aus, dass Illiomarius Aper Wein von Lyon zum Meer transportierte, um ihn dort zu verkaufen und auf dem Rückweg Leinen nach Südgallien brachte, Broeckaert9 hingegen begrenzt den Aktionsradius auf Süd- und Mittelgallien.
- 1. Droß-Krüpe, Wolle – Weber – Wirtschaft, 2011, S. 2; Droß, Rez. zu Gillis, Nosch (Hrsg.), Ancient Textiles. Production, Craft and Society, in: MBAH 27 (2009), 241-250, S. 241; Droß, Rez. Zu M. Gleba, Textile Production in pre-Roman Italy, Oxford 2008 (Ancient Textile Series 4), in: MBAH 27 (2009), S. 177-181, S. 177. Den papyrologischen Dokumenten bezüglich Berufsbezeichnungen zufolge stellte der Textilsektor sogar den größten Bereich dar (Ruffing, Die berufliche Spezialisierung in Handel und Handwerk (2008), S. 80f. und S. 185-187). Jongman dagegen sieht Kleidung nur als drittgrößten Ausgabenbereich der Bevölkerung hinter Nahrung und Wohnen an (Jongman, Wool and the Textile Industry of Roman Italy: A working Hypothesis, in Lo Cascio (Hrsg.) Mercati Permanenti e Mercati Periodici nel Mondo Romano. Atti degli Incontri capresi di storia dell'economia antica (Capri 13-15 ottobre 1997) (2000), 187-197, S. 188).
- 2. Wild, Introduction, in Gleba, Pásztókai-Szeőke, Making Textiles in Pre-Roman and Roman Times. People, Places, Identities, 2013, S. XIV. Ebenso auch Droß-Krüpe im folgenden Jahr (Textiles Between Trade and Distribution: In Lieu of a Preface, in: Droß-Krüpe (Hrsg.), Textile Trade and Distribution in Antiquity. Textilhandel und –distribution in der Antike (2014), S. VII – XII, S. IX
- 3. Für eine ausführliche Bibliographie zur Textilindustrie s. http://www.mikoflohr.nl/bibliographies/textile_economy/
- 4. Seyffert sieht Handel als den „gewerbsmäßige[n] Einkauf und unveränderte[n] Verkauf von Gütern zum Zwecke der Gewinnerzielung“ (Wirtschaftslehre des Handels, 1972, S. 3). Eine weitere Definition aus dem Jahre 2006 durch den Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution aus Köln sieht Handel im funktionellen Sinne vorliegend, wenn „Marktteilnehmer Güter, die sie i. d. R. nicht selbst be- oder verarbeiten (Handelsware), vonanderen Marktteilnehmern beschaffen und an Dritte absetzen. In der Praxis wird der Begriff im Allgemeinen auf den Austausch von Sachgütern, noch häufiger auf den Austausch von beweglichen Sachgütern eingeschränkt.“ (Katalog E, 2006, S. 27). Zu den verschiedenen Arten von Handel und Händlern s. Tietz, Der Handelsbetrieb, 1993, S. 26-29.
- 5. Piekenbrock, D. (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaft: 5.400 Begriffe nachschlagen, verstehen, anwenden, 201412, S. 254f
- 6. s. dazu beispielsweise Droß-Krüpe, Textiles Between Trade and Distribution: In Lieu of a Preface, S. IX f.
- 7. Gleichzeitig wird durch diese Änderung noch eine zweite Schwachstelle der Definition Seyfferts (die auch etwas weniger deutlich in der Definition des Wirtschaftslexikons zu finden ist) beseitigt, laut der es immer noch als Handel anzusehen wäre, wenn eine andere Person als der Händler selbst die Manipulation der Ware vornimmt.
- 8. Wierschowski, Fremde in Gallien, S. 338f.
- 9. Broeckaert, Navicularii et Negotiantes, S. 211
Zwar sind nicht alle Inschriften derart aussagekräftig, doch fällt im Vergleich zu denen anderer Textilhändler aus dem Römischen Reich auf, dass die des gewählten Bereichs überraschend viele Informationen enthalten. Weiterhin bietet sich hier die Möglichkeit, auch auf die in erfreulich hoher Anzahl erhaltenen größeren Monumente, auf denen Szenen des Textilhandels und der –produktion dargestellt sind (eine Unterscheidung zwischen Handel und Produktion wird im weiteren Laufe der Arbeit deutlich), zurückzugreifen. Genannt sei hier als vermutlich bekanntestes Beispiel die Igeler Säule. Auch die antike Literatur kann zur weiteren Erforschung des Textilhandels beitragen1 (BSP). Inwiefern weitere Quellen, z. B. Funde von Textilresten oder Werkzeugen sowie bildliche Darstellungen (beispielsweise Wandbilder, Mosaike…) zu der Arbeit beitragen können, muss noch genauer geklärt werden. Ein noch zu lösendes Problem besteht in der Unterscheidung zwischen Händler und Handwerker. Wird die Person in der Inschrift als „negotiator“/„mercator“ bezeichnet oder bietet der Text einen anderen eindeutigen Hinweis auf eine Handelstätigkeit, ist der Betreffende als Händler zu identifizieren. Ebenfalls potenziell als Händler einzuordnen sind Personen mit einer entsprechenden Berufsbezeichnung (lintiarius, vestiarius, purpurarius…), denen weit entfernt von ihrem Herkunfts- oder Heimatort eine Inschrift gewidmet wurde (zum Beispiel der aus Rom stammende Mantelhändler Publius Vettius Gemellus (CIL 12, 1928), dem im französischen Vienne ein Grabstein aufgestellt wurde). Auf die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Händler und Handwerker aufgrund der Ikonographie des Inschriftenträgers (so kann man bei Handwerkern beispielsweise die Darstellung von für ihren Beruf typischen Werkzeugen erwarten) möchte ich an dieser Stelle abgesehen von der Erwähnung noch nicht weiter eingehen. Treffen diese Fälle jedoch nicht zu, wird die Unterscheidung zwischen Handwerker und Händler schwieriger.2
Während der Schwerpunkt der Arbeit wie bereits erwähnt auf dem Handel und den Händlern liegen soll, möchte ich auch den Textiltransport als einen wichtigen Teil des Handels untersuchen. Einen ersten Ansatzpunkt bilden dabei zwei in Lyon gefundene und aus der zweiten Hälfte des 2. Jhds. stammende Inschriften, die eine Verbindung von Textilhändlern zu den utriclarii, den Transporteuren von Wein und Öl, belegen. Neben der bereits erwähnten Grabinschrift des Illomarius Aper handelt es sich dabei um die von Popillus (CIL 13, 2023), einem negotiator artis prossariae3, die beide mehrere Gemeinsamkeiten aufweisen. Illomarius Aper und Popillus sind neben ihrer Tätigkeit als Textilienhändler auch Mitglieder im Kollegium der utriclarii, Popillus gehörte außerdem noch einem weiteren Kollegium an, dessen Name bedauerlicherweise nicht mehr auf der Inschrift erhalten ist. Zudem stammen sie ursprünglich nicht aus Lyon. Popillus gibt an, zu den Sequanern (natione sequano) zu gehören, ist aber wie Illomarius zusätzlich in die Bürgerschaft von Lyon aufgenommen worden. Er handelte mit verschiedenen Produkten aus Wolle.4 Wie schon bei Illomarius Aper geht Wierschowski auch hier von einer Doppelfunktion als Wein- und Textilhändler aus. Popillus habe den Wein von Lyon nach Norden transportiert, dort verkauft und auf dem Rückweg „Tuniken und vielleicht auch andere Woll- und Leinenprodukte für den Verkauf in Lyon“ mitgebracht. Zusätzlich zu dieser Verbindung zwischen Textilhändlern und utriclarii ist auch besonders die Andersartigkeit des Transports von Textilien im Gegensatz zum Transport anderer Güter, wie zum Beispiel den in diesem Zusammenhang oft behandelten Nahrungsmitteln, interessant, da zum einen die transportierbare Menge pro Raumeinheit vergleichsweise hoch ist, und sie zum anderen zu den unverderblichen Waren zählen. Aus diesen Gründen sind Textilien für den Fernhandel und –transport sehr geeignet. Obwohl man selbstverständlich das Bestreben der Händler voraussetzen kann, Transportgeschwindigkeit und -kosten soweit wie möglich zu optimieren, sind diese im Falle von Textiltransporten nicht von so großer Bedeutung wie bei anderen Waren.
Den ersten Arbeitsschritt stellt die Sichtung und Sammlung des Quellenmaterials dar, das anschließend in eine erste als Übersicht dienende Datenbank eingetragen und schließlich auf eine Karte übertragen werden soll. Eine erste Auswertung der bisher aus 62 Inschriften bestehenden Datenbank5 und der dazugehörigen Karte ergibt eine Verteilung der Händler über den gesamten westeuropäischen Teil des Römischen Reiches, wobei der Schwerpunkt eindeutig in Südgallien liegt, von wo etwa knapp ein Drittel aller Inschriften stammt. Die in Gallien, Germanien und Rätien aktiven Händler stammen aus vielen verschiedenen Teilen des westlichen Reiches. Der Osten des Reiches ist bislang durch einen in Augsburg nachgewiesenen negotiator artis purpurariae aus Syrien und einen in Lyon ansässigen negotiator laudecenarius, der vermutlich aus Phrygien stammte, vertreten. Überraschend ist bisher die unerwartet geringe Anzahl von Händlern in Trier (CIL 13, 3705) und aus dem trierischen Raum (CIL 13, 542 und 634) (die Igeler Säule wurde dabei noch nicht berücksichtigt). Sowohl Karte als auch Datenbank werden im Laufe der Arbeit weiter ausgebaut und professionalisiert.
Auch wenn es sich bei diesem Projekt immer noch um eine in erster Linie historische Arbeit handeln soll, stellen die Digital Humanities und die sich durch deren Integration bietenden Möglichkeiten einen wichtigen Abschnitt der Arbeit dar. Besonders für die Wirtschaftsgeschichte können computergestützte Verfahren zur Darstellung komplexer Zusammenhänge von großer Hilfe sein. Während die Datenbank in erster Linie lediglich als Materialüberblick mit der Möglichkeit zur Suche und Anzeige bestimmter Quellen gedacht ist (wobei eine Verknüpfung einzelner Kategorien (Fundort, Datierung, Herkunft, Warenart etc.) miteinander möglich sein soll), beabsichtige ich, die Karte wesentlich umfang- und funktionsreicher zu gestalten. Sie soll nicht nur die Fundorte der einzelnen Objekte und die in den Quellen genannten Handels- und Herkunftsorte zeigen, sowie Kombinationen der verschiedenen Kriterien (wie etwa die Anzeige aller Objekte zu gallischen vestiarii in Germanien während des zweiten Jahrhunderts) ermöglichen, sondern auch beispielsweise Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte oder Bewegungen von Händlern und Waren darstellen.
- 1. Strabon berichtet, dass die Bewohner von Gallia Cisalpina verschiedene Kleidungsstücke exportierten (4, 6, 2) und bei Martial findet sich die Erwähnung von bardocuculli (ein Kapuzenmantel) aus Gallien. Zudem finden sich bei ihm zahlreiche, teils recht drastische Bewertungen verschiedener anderer gallischer Kleidungsstücke. Auch andere antike Autoren gehen auf Textilindustrie, -handel und Textilien allgemein des gallischen und germanischen Raumes ein.
- 2. So bei Constantinius Aequalis (CIL, 13, 1945). Wierschowski (Fremde in Gallien, S. 324f.) bezeichnet ihn als Handwerker, während Broeckaert (Navicularii et Negotiantes, S. 468f.) Aequalis als Händler sieht.
- 3. Der einzige andere Händler, der neben Popillus als „negotiator artis …“ bezeichnet wird, ist ein weiter unten erwähnter negotiator artis purpurariae aus Augsburg.
- 4. (Fremde in Gallien, S. 353).
- 5. Die verschiedenen Inschriften, die sich auf die centonarii und deren Kollegium beziehen sind derzeit nicht aufgenommen. Die Rolle der centonarii im Textilhandel (s. dazu auch Liu, Collegia Centonariorum) muss im Laufe der Arbeit noch genauer untersucht werden. Eine Aufnahme würde zu einer enormen Erhöhung der Inschriftenanzahl führen.